Biografie

1910
geboren am 14. September in Metz (Lothringen). Vater preußischer Beamter des Reichstelegrafenamtes, gebürtig in Hinterpommern, protestantisch.
 Mutter aus Morange (Mörchingen /Lothringen), katholisch.

1918
Die Familie muss Lothringen verlassen. Versetzung des Vaters nach Stettin.

1922
Versetzung des Vaters nach Köln. Seitdem lebt Walter Warnach in Köln bzw. in der Umgebung von Köln.

1929
Abitur am humanistischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln. 
Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik in Bonn, München, Köln. In dieser Zeit Kontakte zu anarchistisch-kommunistischen Gruppen (Esperanto-Unterricht); ferner Kontakte zur Kölner Künstler-Szene, u.a. Josef Fassbender, Hann Trier, Josef und Raimund Jäckel. Während des Studiums Beginn der engen Freundschaft mit dem Dichter Eugen Gottlob Winkler (1912–1936), dessen Schriften er ab Ende der 1930er Jahre edierte bzw. deren Herausgabe er unterstützte. 

1935
Staatsexamen an der Universität zu Köln.
 Einige Monate Referendar an einem Kölner Gymnasium. Ab Herbst Anstellung als Sprachlektor an der Universität Montpellier, wo er mit Vertretern des späteren Renouveau Catholique sowie mit Jean Hugo und Jean Cocteau verkehrt.

1936
im Herbst Rückkehr nach Köln, Wiederaufnahme des Referendariats, In dieser Zeit rege philosophisch-theologische Auseinandersetzungen mit Edith Stein bis zu ihrer Flucht in die Niederlande 1938. 

1937
im Frühjahr scheidet er auf eigenen Antrag aus dem Staatsdienst aus.
 Fortsetzung des Philosophiestudiums an der Universität zu Köln. Eintritt in die NSDAP; genaue Umstände unbekannt. 

1938
Promotion bei Heinz Heimsoeth über Sein und Freiheit bei Maurice Blondel; zeitweise Arbeit als Hauslehrer. 

1939
Heirat mit Elisabeth Hahn aus Köln; 4 Kinder (1941–1950 geboren).

1939–1941
Lektor im Auftrag der Deutschen Akademie in Lüttich; kurze Zeit 
Lektor in Paris; läßt sich auf eigenen Antrag nach Lüttich zurückversetzen. Bewerbung auf eine Lektorenstelle in Spanien scheitert. 

1941 
Einberufung zum Wehrdienst – Ostfront.

1945
Im Frühjahr Verwundung bei Berlin. 
Im Herbst Entlassung aus einem Lazarett in Schleswig-Holstein, Rückkehr zur Familie, wohnhaft in Scheiderhöhe, Bergisches Land. 

Nach 1945

freier Schriftsteller, insb. mit Aufsätzen und Vorträgen zu philosophischen, literarischen und kunsttheoretischen Themen, u.a. in Zeitschriften wie Hochland, Merkur, Christ und Welt. Übersetzer aus dem Französischen ( u.a. „Pensées“ von Blaise Pascal und weitere philosophisch-theologische Werke).  Beginn der Bekanntschaft mit Carl Schmitt.

1952
erscheint – als Verarbeitung des Kriegserlebens – sein Buch Die Welt des Schmerzes.

Ab 1946 bis in die 1970er Jahre
Als freier Mitarbeiter ist Walter Warnach verantwortlicher Lektor für den Bereich Philosophie/Theologie des Schwann-Patmos-Verlags in Düsseldorf. Beteiligung an den philosphisch-theologischen Auseinandersetzungen, auch an den Debatten rund um das 2. Vatikanische Konzil.

1958
Umzug von Scheiderhöhe nach Köln-Lindenthal. In dieser Zeit Beginn der engen Freundschaft mit Heinrich Böll.

1960–1962
Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift Labyrinth  gemeinsam mit Werner von Trott zu Solz, Heinrich Böll und HAP Grieshaber, die sich angesichts der verbrecherischen deutschen Vergangenheit und des vorherrschenden Schweigens der Adenauer-Zeit als Forum für eine lagerübergreifende geistige Erneuerung verstand. Hier prägte Walter Warnach den Begriff der „Verlorenen Niederlage“. 

1960–75
zunächst Dozent, ab 1965 Professor für Philosophie an der Staatlichen Kunstakademie, Düsseldorf; Beginn der Freundschaft mit Beuys; intensive philosophisch ästhetische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Kunstströmungen.     

1982
erscheinen seine gesammelte Schriften Wege im Labyrinth – Schriften zur Zeit.

Am 7. Juni 2000
stirbt Walter Warnach nach langer Krankheit in Köln.

 

Impressum

RECHTE
für alle Texte und Bilder
Dr. Martin Warnach
kontakt at walter-warnach.de

 

GESTALTUNG
Studio Marinelli, Berlin

 

UMSETZUNG UND PROGRAMMIERUNG
Max Schafgans
info@blackboxmedia.de

 

VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT
Dr. Martin Warnach
Knesebeckstraße 74
10623 Berlin

 

Unser besonderer Dank gilt Herrn Dr. Christoph Lange, auf dessen hervorragender bibliografischer Vorarbeit die Angaben auf dieser Homepage basieren. 

 

 

 

 

Ins Herz des Labyrinths – Ein radikaler Christ in der „christlichen“ Gesellschaft

Zu Walter Warnachs gesammelten Schriften

VON PETER HAMM

In seinem liebevoll weitenden Vorwort zu den gesammelten Schriften Walter Warnachs, der zusammen mit ihm, Werner Trott zu Solz und HAP Grieshaber in den sechziger Jahren die ebenso lebendige wie kurzlebige Zeitschrift Labyrinth herausgab, beteuert Heinrich Böll, dieser Mann, dem er mehr verdanke, als dieser wissen könne, sei „keiner der ominösen Stillen im Lande oder gar eine verborgene graue Eminenz“, sondern er spreche „offen und öffentlich“.

Ich fürchte, Heinrich Böll verwechselt da leider seine und Warnachs Heimatstadt Köln, in welcher der inzwischen Dreiundsiebzigjährige – zumindest in einem kleinen Kreis – hohe Reputation genießt, mit der Öffentlichkeit; man mache nur einmal die Probe aufs Exempel und verlange irgendwo sonst in einer als gut sortiert geltenden Buchhandlung das Buch von Walter Warnach, Wege im Labyrinth. Ich möchte wetten, daß es – Ausnahmen bestätigen die Regel – nicht vorrätig sein wird, sondern erst bestellt werden muß.

Die Gründe für diese Ignoranz gegenüber einem Mann wie Walter Warnach erscheinen mir ebenso rätselhaft wie symptomatisch; rätselhaft, weil Warnach einprägsame Formeln wie kein anderer für den Bewußtseinszustand der deutschen Nachkriegsgesellschaft gefunden hat – ich erwähne hier nur einmal die von der „Verlorenen Niederlage“ (die Warnach bereits 1955 konstatierte) und symptomatisch, weil eben gerade dies, was derartige Definitionen so genau festhalten, so genau kaum jemand wissen wollte. Alle waren schließlich mit Wiederaufbau beschäftigt, mit Renovation und Restauration, und da war einer im Wege, der – wie Warnach – nicht nur von der deutschen Schuld sprach, was als eine Art Pflichtübung zunächst noch viele taten, sondern der diese Schuld geradezu als Gottesgeschenk, zumindest als die allergrößte Chance für eine Neubesinnung begriffen haben wollte und also anschrieb gegen die Illusion von der Wiederherstellung einer Ordnung, aus der heraus seiner Meinung nach ja doch diese deutsche Schuld erwachsen war.

„Endlich von dem Starrsinn zu lassen, die geschichtliche Wunde durch den Schein einer Ordnung verdecken zu wollen, die nur noch Frevel länger eine christliche nennen kann, und uns offenzuhalten für die ganz und gar leidvolle Wirklichkeit, die selbst das Werk unseres schuldhaften Versagens ist“: Dies verlangte Walter Warnach in der unmittelbaren Nachkriegszeit so ernsthaft wie vergeblich von den Deutschen, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs längst damit beschäftigt waren, sich der leidvollen Wirklichkeit mit Hilfe von Ordnungssystemen zu entziehen, die nicht nur neue Schuld auf sie laden, sondern auch die Teilung des Vaterlandes, die ja Ergebnis ihrer, alten Schuld war, zementieren mußten.

In dem umfangreichsten und bereits 1952 einmal in Buchform publizierten Essay „Die Welt des Schmerzes“ hat Warnach die beiden Ordnungssysteme, denen sich die Deutschen auslieferten, so beurteilt: „Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist nichts anderes als der bewußt oder unbewußt blasphemische Versuch, den Schmerz in den Dienst zu nehmen und sich zum Vollstrecker des Fluches der Erde aufzuwerfen.“ Und (auf die marxistisch verwalteten Länder gemünzt): „Sie heben den Fluch der Erde nicht auf, dafür segnen sie die Arbeit.“

Was aber wäre nach Warnach statt dessen notwendig gewesen? „Allem vorweg die Absage an die Illusion, mit gleich welchen politischen Konzepten, die doch immer nur tiefer in die Kette der Vermittlungen zwingen, Abhilfe schaffen zu können, und das Eingeständnis unserer totalen Ratlosigkeit.“

Dieses Eingeständnis wagten aber allenfalls ein paar Künstler – Böll unter ihnen oder auch Bölls Freund Beuys (dessen Arbeit durch Warnach, der lange an der Düsseldorfer Kunstakademie Philosophie lehrte, übrigens ihre früheste Rechtfertigung erfuhr) –, und sie machten sich mit diesem Eingeständnis ihrer totalen Ratlosigkeit nicht eben beliebt bei den neuen Machthabern, denen alles daran gelegen war, als gute Ratgeber zu erscheinen, wenn sie mittels ihrer „Wohlstandsnarkose“ (Warnach) den Traum von einer sinnvollen und „freiheidichen Ordnung“ nährten, zu deren Aufrechterhaltung auch eine neue Wehrmacht her mußte.

Wer da, wie Warnach, den „Zustand der vollkommenen Machtlosigkeit“ als Voraussetzung für ein sinnvolles Sein verstand und Sätze formulierte wie diesen: „War in der Einwilligung der Massen in die Untaten des NS-Regimes noch viel Verführung und Nötigung im Spiel, so stürzte man sich jetzt ungenötigt und mit Wollust in das Abenteuer der Selbstverneinung“, der hatte bei den Agenten des Wirtschaftswunders, die sich ernstlich als Christen ausgaben, ein für allemal verspielt.

Vergeblich hielt Warnach ihnen entgegen: „Wodurch könnte sich die Scheinhaftigkeit einer „christlichen Lebensordnung’ brutaler offenbaren als durch die Instinktlosigkeit der Christen, zu glauben, sie könnten ohne ein Opfer aller allen ein Leben in Wohlstand und Behagen garantieren? Wie kommt es nur, daß diese Wohlstandsordnung so von Unbehagen trieft?“

Solche Sätze wurden ebenso ignoriert wie jene, in denen Warnach unsere neue Schuld begriff als „unseren Entschluß, das Angebot einer großen geschichtlichen Gnade, als die wir das furchtbare Faktum der Teilung durch die Mitte zu verstehen haben, zurückzuweisen, ja, den Deutschen jenseits dieser verwundenden Grenze nur das eine zu wünschen, unseren Traum mitzuträumen, und wie ungezogene Kinder gar noch böse zu sein, daß sie nicht mitträumen wollen, nicht mitträumen können, weil sie offenbar einen anderen, weniger bunten, weniger behaglichen Traum haben, der aber mit der Wirklichkeit wenigstens das eine gemeinsam hat: das Leiden. Es ist der entwürdigendste Schlag ins Gesicht der westlichen Christenheit, daß die sozialistische Lebensordnung, die auch nur ein Traum ist, dennoch unvergleichlich mehr von einer Opferordnung hat als die ‚christliche‘ hierzulande“.

Man sieht: Walter Warnach, der sich als Christ begreift und dessen Denken maßgeblich von den Autoren des renouveau catholique wie Bloy, Peguy und Bernanos geprägt ist, kann das Wort christlich nur in Anführungszeichen verwenden, er hat erfahren müssen, daß gerade jene, die das Wort am lautesten im Munde führen, allen voran die sich christlich nennende Partei, am heftigsten die Aufrichtung einer „Ordnung“ betreiben, die nur verdient, beseitigt zu werden.

Die Rigorosität, mit der Warnach den „Bann der Gegenschöpfung“ bekämpft, der „den Dingen sichtbarlich den Segen genommen hat, mehr zu sein als ein Behelf, als eine Übersetzung unserer vergänglichsten Bedürfnisse“, kann bei den ewigen Vermittlern, die im Staat und in den Kirchen den Ton angeben, nur Wut und Haß auslösen, im besten Falle Verzweiflung. Ihre viel beschworene „Freiheit“ entlarvt Warnach als rhetorische Geste: „Man hat die Rhetorik der Freiheit geschaffen, um der Freiheit endgültig den Garaus zu machen“, und (als habe Warnach schon 1950 unseren mischgen Minister Zimmermann vorausgesehen): „Alles deutet darauf hin, daß man in nicht zu ferner Zeit den Namen der Freiheit durch den der Ordnung ersetzt haben wird... es wird eine gnadenlose Ordnung sein.“

Warnachs Gewißheit, daß „Freiheit ist, wo Freude ist, und nur, wo Freude ist“, muß für die Repräsentanten unserer freudlosen Gesellschaft, für die ja nicht nur die Unfähigkeit zu trauern, sondern ebenso die Unfähigkeit sich zu freuen so charakteristisch ist, eine unerträgliche Provokation darstellen. In einer Gesellschaft, in der nur noch Haben und Rechthaben zählen – wobei nur der, der hat, auch recht haben kann –, ist jeder, der auf die Dialektik von Leiden und Freude insistiert und das Eingeständnis der Ratlosigkeit propagiert, ein Störenfried, ein Querulant oder auch ein „Entarteter“ (dieses Wort ist ja neuerdings durch den bayerischen Ministerpräsidenten wieder als Waffe im Kampf für die totale Ordnung freigegeben worden).

Ein Christ weiß freilich, daß selbst die Heiligen, bevor sie kanonisiert wurden, alle erst einmal als Querulanten abgetan und verfolgt wurden. Simone Weil, die – obwohl sie es verschmähte, sich taufen zu lassen – selbst „das Zeug zur Heiligen“ hatte, wie T. S. Eliot meinte, der gleichzeitig wohl zu Recht den Verdacht äußerte, „daß sie bisweilen unerträglich war“, diese Simone Weil, auf die Warnach als einer der ersten in Deutschland aufmerksam machte, schrieb einmal an Maurice Schumann: „Nebenbei bemerkt liebe ich die Art nicht, wie die Christen von der Heiligkeit zu reden sich angewöhnt haben. Sie reden davon wie ein Bankier, ein Ingenieur, ein kultivierter General vom Genie des Dichters reden würden – eine schöne Sache, von der sie sich ausgeschlossen wissen, die sie vielleicht lieben und bewundern, aber nicht einen Augenblick kommt es ihnen in den Sinn, sich deswegen Vorwürfe zu machen, daß sie sie nicht besitzen. Dabei scheint mir, daß in Wirklichkeit für den Christen Heiligkeit das Minimum ist.“

Wenn ich die 31 Essays lese, die Warnachs Band „Wege im Labyrinth unter den Zwischentiteln „Die verlorene Niederlage“, „Ortsbestimmung des Dichters“ und „Die Wirklichkeit der Kunst“ versammelt, habe ich den Eindruck, daß Warnach beseelt ist vom Geiste dieser modernen Mystikerin Simone Weil. Auch für ihn hat das Unglück die „untrüglichste Form der Gottverbundenheit“, weshalb er alle Systeme bekämpft, die suggerieren, den Schmerz beseitigen zu können, und ihn gerade dadurch nur noch vermehren; auch er hat davon geträumt, „zwischen ‚ratio‘ und ,religio‘ den ungebrochenen Zusammenhang wiederherzustellen, der... in der hohen Zeit des griechischen Denkens von Heraklit bis Platon bestand“, und weiß doch nur zu genau, daß „die Ratio den Pakt mit der Religion gebrochen und sich unter den Fahnen der Naturwissenschaften in die Sklaverei der Materie und Zeitlichkeit begeben“ hat, und das heißt, in die „Gegenchristlichkeit“ des absoluten Materialismus, dessen – jetzt so bedrohlich näher gerückte „letzte Konsequenz ... die Vernichtung der Materie“ ist („von Gnaden des neuen Sakraments von Bikini wird der Mensch, auf eine andere Weise allerdings, als er sich träumen ließ, realiter Geist“, so zitiert Warnach Bernanos).

Auch die Rolle, die in Warnachs Denken die Künste – vor allem Bildende Kunst und Literatur – einnehmen, stellt ihn an die Seite der Weil, die als das Merkmal der Inkarnation Gottes in der Welt die Schönheit ansah: „Wir haben keine Auswahl an Heilmitteln, es gibt nur eines, ein einziges Mittel nur macht die Monotonie erträglich, und das ist ein Abglanz der Ewigkeit: die Schönheit“. Allerdings ist Warnachs Schönheitsbegriff ein ganz anderer als der eher klassizistisch geprägte der Französin; Warnach weiß, „daß der Künstler weder zu der Masse der Funktionsträger gehört noch zu dem Stab der Planer und daß ihm innerhalb der modernen technischen Gesellschaft kein anderer Platz offensteht als der des Outsiders, und das heißt also genaugenommen: kein Platz“. Und er sagt: „Kunst ist heute nur Kunst unter der Bedingung, daß sie unter keiner Bedingung steht, autonom sich selbst das Gesetz gebende Kunst ist.“ Unter dieser Voraussetzung kann Warnach früh auch der Avantgarde gerecht werden, etwa einem Beuys, der „mit den ärmsten Materialien Bildzeichen schafft, von denen man nicht zuviel sagt, wenn man sie Chiffren einer geistlichen Wirklichkeit nennt“.

Auf Beuys’ frühe Anerkennung durch Warnach kommt auch Böll in seinem Vorwort zu sprechen, und was er dabei über den als „blasphemisch“ angeprangerten Auftritt von Beuys in Aachen sagt, „wo er mit dem umgeknickten Kreuz provozierte und von Katholiken die Nase blutig geschlagen bekam“, scheint direkt auf den Blasphemie-Vorwurf gegen Achternbuschs Film „Das Gespenst“ bezogen: „Ist Blasphemie möglicherweise die letzte, verzweifelte Wahrnehmung Gottes, der ja in der Lästerung immerhin noch wahrgenommen wird, während man ihn im Himbeerwasser der scheinbar „heilen Welt‘ möglicherweise ertränkt?“ Die völlige Immunisierung gegen dieses „Himbeerwasser“ verdankt Böll nicht zuletzt Walter Warnach.

Ich möchte nicht verschweigen, daß mir vieles in Warnachs Schriften auch fremd vorkommt, unverständlich ist, etwa seine verehrungsvolle Haltung gegenüber einem Manne wie Carl Schmitt, der sich doch schon allein durch seinen exzessiven Antisemitismus vor einem Manne wie Warnach unmöglich gemacht haben müßte, oder auch die Art und Weise, in der Warnach den alten Reichsgedanken ernst nimmt (obwohl er dann doch wieder Karl V. für dessen Abdankung und den Gang ins Kloster rühmt: „Er verzichtete sozusagen von Rechts wegen auf den Besitz von Macht“).

Was Warnach freilich die meisten Leser kosten dürfte, ist eben sein radikales Christentum (das vielen offensichtlich ja auch den Zugang zu Simone Weil versperrt). Seltsamerweise scheint in dieser sich christlich nennenden Gesellschaft nichts so sehr Widerwillen hervorzurufen wie ernsthaftes christliches Denken, und das heißt ja stets: ein Denken, welches das Bestehende total verwirft.

Dabei fordert Warnach nicht dazu auf, sich dem Bestehenden einfach zu verschließen, vielmehr es zu durchdringen; sein ganzes Denken zielt darauf, ins „Herz der Wirklichkeit zu gelangen, wo sie im Streit der Gegensätze den Zugang zur Mitte offenhält. Es ist der Weg ins Herz des Labyrinths, in dem wir uns selber zum Minotaurus werden. Die Christenheit des Mittelalters wußte, daß dieser Weg ins Labyrinth heilsamer Schulderfahrung unerläßlich ist. Deshalb bezeichnete sie am Eingang ihrer Kathedralen eine Stelle des Fußbodens als Labyrinth, auf dem die Büßer und Beter sich kniend in immer engeren Windungen der Mitte zubewegten, um, dort angelangt, das Bild des Gekreuzigten zu verehren“.

In Peter Handkes neuestem Buch „Der Chinese des Schmerzes“ äußert ein Maler: „In manchen Kulturen finden sich Zeichnungen vor den Schwellen, in der Form eines Labyrinths; diese Zeichnungen sollen, wie man sagt, weniger abwehren als zum Innehalten bringen und einen Umweg vorschlagen.“ Es ist tröstlich für mich, daß Warnachs Denken bei einem viel Jüngeren, der dazuhin mit Warnachs Werk vermutlich nie in Berührung gekommen ist, seine lebendige Fortsetzung findet; die Berührung der Geister beruht eben nicht auf irgendeiner Art von Gedankenaustausch, sondern einzig und allein auf dem Grade der Untröstlichkeit, mit der sie auf die Vorläufigkeit dessen, was wir Wirklichkeit nennen, reagieren.

 

Walter Warnach: „Wege im Labyrinth“, mit einem Vorwort von Heinrich Böll, Herausgeber Karl-Dieter Ulke; Verlag Günther Neske, Pfullingen, 1982; 940 S., 48,– DM.

Die Rezension erschien in Die Zeit, 12. August 1983.

 

 

Unsere Akademie:
Professor Dr. Walter Warnach 

 
Wenn der Philosoph unter den Professoren der Akademie sich wie ein Wolf unter Schafen fühlt, man im Laufe des Gesprächs mit ihm jedoch die beiden Tiere verwechselt und schließlich vom Schaf unter Wölfen spricht, wenn von ihm die Rede ist, dann hat der Philosoph nicht so unrecht, wenn er in die Bereiche der Psychologie einschwenkt und die Fehlassoziation bedenklich, wenn nicht gar beziehungsvoll findet. Peinlich? Sicherlich, aber nur, bis man sich auf einen Vortrag von Professor Karl Otto Götz besinnt, in dem der Maler beklagt, daß man sich heutzutage immer noch scheut, an die Kunst mit wissenschaftlichen Methoden heranzugehen. Von alten und neuen Theorien belastet, hatte er gemeint, halte man Kunst für unantastbar und reserviere für sie eine Sphäre, die außerhalb aller Wissenschaft schwebe. Der Philosoph wenigstens habe es versucht, „doch weil er nicht die geistige Robustheit der Maler und Bildhauer besitzt, faßt er die Kunst allzu zaghaft an."
Nun denn: ist „robust" nicht das Prädikat, das man doch eher den Wölfen zugestehen möchte? Und „zaghaft" nicht die Vokabel, die mit Schafen leichter in Verbindung zu bringen ist als mit Wölfen? Und ist da nicht nachträglich die Fehlassoziation wieder geradegerückt?
Aber lassen wir Professor Warnach selbst zu Worte kommen. Lassen wir ihn erläutern, was es bedeutet, inmitten der bildenden Kunst mit leeren Händen dazustehen, ohne Palette, ohne Meißel, ohne Zeichenstift, dafür aber seinen Kopf hin- halten zu müssen mit dem darin gespeicherten Wissen, den Überzeugungen, den Erkenntnissen. Als er im November 1961 zur Immatrikulationsfeier sprach und seinen Vortrag unter das Thema „Vom Bewußtsein in der Kunst" hielt, sagte er: „Sie werden ohne sonderliche Mühe erraten, was mich zur Wahl dieses Themas getrieben hat: das Bedürfnis, mir (und Ihnen) Rechenschaft abzulegen über den Ort der Philosophie in diesem Hause, das ganz offenbar einem anderen Zweck zubestimmt ist. Wer auch nur eine entfernte Ahnung davon hat, welch gefährliches Geschäft, näher besehen, die Philosophie ist und mit welch hochentzündlichem Stoff sie umgeht, dem Gedanken, genauer: dem reflexiven Gedanken, d. h. dem Denken, das sich im Denken selbst ergreift, den wird es nicht verwundern, wenn ich gestehe, daß ich mich von dem unbehaglichen Gefühl nicht losmachen kann, in dies Gehege, wo man friedlicher, fruchtbringender, schöpferischer Arbeit nachgeht, wie ein Wolf eingebrochen zu sein, der nicht anders kann als reißen und zerstören. Denn was wollte der Philosoph ernstlich dem entgegenhalten, der geneigt ist, in der Philosophie das Unschöpferische schlechthin zu sehen, etwas zu jedem Werk, zu jeder schöpferischen Vollbringung Hinzukommendes, eine Arbeit über der Arbeit, eine Arbeit, die selber ganz offensichtlich kein Werk mehr hat? Die Philosophie bewegt sich, gegenläufig zu jedem Prozeß der Werkwerdung, ja umfassender noch, überhaupt der Weltwerdung, auf den Anfang dieses Werdens zurück. Sie steht aber selbst, indem sie nach dem Anfang fragt, immer im Ende, im Ende des Prozesses der Selbstbewußtwerdung und vollbringt von diesem Ende her ihre Arbeit am schon Vollbrachten, eine Arbeit der Auflösung, von der sie hofft, daß sie eine Arbeit der Aufhüllung auf den Grund, den Ursprung hin sei.“
In dieses Licht gestellt, möchte man meinen, daß Professor Warnach in der Akademie tatsächlich keinen leichten Stand hat, aber „ich kann mir keine sinnvollere Tätigkeit denken, weil meine jungen Hörer die Philosophie auf ihre Existenz applizieren", sagt er, und deutet damit an, daß er die Philosophie in diesem Rahmen nicht als Wissenschaft, sondern als Daseinserklärung zu übermitteln bestrebt ist.
Verpflichtet zum Besuch der Philosophie- Vorlesungen sind in der Akademie nur die Studenten des „Künstlerischen Lehramts“, und es spricht für sich, daß sie darüber hinaus fast immer durchschnittlich von zwanzig bis dreißig Schülern der „freien Klassen" wahrgenommen werden, wobei das Interesse für das Kolloquium besonders groß ist.
Professor Warnach wurde 1910 in Metz geboren, seit 1922 lebt er in Köln. Er studierte Philosophie, Germanistik und Romanistik in Bonn, München und Köln, ging nach der wissenschaftlichen Prüfung für das höhere Lehramt für ein Jahr (1935/36) als Lektor an die Universität von Montpellier und promovierte 1938 mit einer Arbeit über die Ontologie Maurice Blon- dels. Als der Krieg, den er vor allem in Rußland erlebte, zu Ende war, wurde er freier Mitarbeiter an verschiedenen Verlagen. Philosophie und Theologie waren die Themenkreise, die diese Tätigkeit kennzeichneten.
Neben seiner schriftstellerischen Arbeit, von der er zusammenfassend sagt, daß sie „polemischen Einschlag" habe, hat er sich als Herausgeber einen Namen gemacht.

Nachruf

Kunstmoral
Zum Tod von Walter Warnach


Walter Warnach war ein leidenschaftlicher Verfechter der Autonomie der Kunst und der Kunsthochschule. An der Düsseldorfer Akademie bekleidete er von 1960 bis 1975 die erste Professur am neu gegründeten Lehrstuhl für Philosophie. In Warnachs Denken paarten sich wertkonservative Motive auf christlichem Fundament und unkonventionelle Impulse. Warnach bekannte sich zur Institution der Kunstakademie als „Ort einer gemeinsamen Verehrung“, wo „die Sache“ höher stehe als der Einzelne. Der antiquiert anmutende Unterton, der darin nicht zu überhören ist, wird merklich relativiert durch die noch heute aktuelle Warnung vor einem Routinebetrieb, wo „erfahrene Praktiker und Taktiker“ jüngere Menschen in der Fertigkeit einübten, „ihren Hervorbringungen den höchstmöglichen Sozialkoeffizienten zu verleihen“. Den Künstler verstand Warnach programmatisch als „Outsider“ mit allen erdenklichen Freiheiten, der sich gesellschaftlich nicht in Dienst nehmen lassen dürfe. Diese Einsicht fiel in der hohen Zeit von Joseph Beuys auf fruchtbaren Boden. Unerschrocken stritt Warnach in den frühen siebziger Jahren, auch in dieser Zeitung, gegen eine wuchernde Bürokratie, namentlich gegen eine technizistische Aufnahmeregelung für die Düsseldorfer Akademie, weil er in solchen Eingriffen besonders deutlich die Widersprüche zwischen einer funktionalen Gesellschaft und der künstlerischen Selbstbestimmung erkannte. Wer die Schriften Warnachs aus den fünfziger Jahren kannte, wusste schon damals, dass sich sein Denken nicht auf die Kunst und die Akademie beschränkte.
Als kritischer Chronist war Warnach unmittelbar nach der Stunde null in Erscheinung getreten, um die „Wohlstandsnarkose und die „verlorene Niederlage“ zu geißeln, da niemand die „totale Ratlosigkeit“ nach 1945 habe eingestehen wollen.
Nur in diesem Eingeständnis sah Warnach die Möglichkeit für einen echten Neuaufbau. Am 7. Juni ist Warnach im Alter von neunundachtzig Jahren in Köln gestorben.    G.I.

erschienen in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Juni 2000, S. 60.

Die Kunstakademie trauert um

Professor Dr. Walter Warnach

14. September 1910 – 7. Juni 2000

 

Walter Warnach gehörte zu jenen, die in der Tiefe ihres Lebens den beschleunigten
Schrecken des 20. Jahrhunderts erfuhren. Sein nachhaltigstes Buch heißt „Die Welt
des Schmerzes“ (1953). Heinrich Böll schrieb über ihn: „Der Gedanke des Leidens
und des Opfers steht im Vordergrund des Warnachschen Denkens.“

1910 in Metz geboren, das damals noch zum Deutschen Reich gehörte, wurde
Warnach erst 1934 wieder eingebürgert. Nach dem Abitur in Köln studierte er dort
und in Bonn seit 1929 Philosophie, Germanistik und Romanistik und schloß 1935 mit
dem Ersten Staatsexamen ab. Er absolvierte, unterbrochen durch ein Lektorat an der
Universität Montpellier, die Referendarausbildung für den Höheren Schuldienst, aus
dem er auf eigenen Antrag Ostern 1937 ausschied.

Die Begründung für diesen Schritt, die Warnach in einem Lebenslauf gab, charakteri-
siert sein zurückhaltendes und zugleich unbeugsames Wesen: er hatte „mit Deutsch
als Hauptfach damals wenig Hoffnung..., in meinem Sinne unterrichten zu können.“
Dieser sanfte Widerstand zeichnete ihn aus. Er nahm sein Philosophiestudium wieder
auf und promovierte im November 1938 an der Universität Köln mit einer Dissertation
über Maurice Blondel. Ihr Untertitel spricht mit dem Problem von Zeit und Freiheit ein
Grundthema von Warnachs Existenz aus.

Nach Krieg, Verwundung und Gefangenschaft begann Warnach eine freie Tätigkeit
als Schriftsteller, Übersetzer und Lektor. Pascal und Bernanos, Simone Weil und
Werner von Trott zu Solz sind Wegmarken seines Denkens, und ihre Namen spannen
den Bogen von der Verführbarkeit des Menschen und seiner metaphysischen Erret-
tung bis zu einer mystisch ergründeten Ontologie. Warnach wird zum Exponenten
einer Geisteshaltung, die eine Versöhnung zwischen abendländischer Bewahrung
und den Forderungen der Moderne versucht. In diesem Sinn gibt er seit 1960 zu-
sammen mit Trott zu Solz und Böll die Zeitschrift „labyrinth“ heraus, die HAP Griesha-
ber graphisch gestaltet und ausstattet.

Im gleichen Jahr kommt Warnach, zunächst als Lehrbeauftragter, an die Kunstaka-
demie, und über eine Dozentur erhält er 1964 den Ruf auf die neugeschaffene Pro-
fessur für Philosophie. Bis 1975, als er mit Ende des Sommersemesters in den Ruhe-
stand tritt, lehrt Warnach an der Akademie in turbulenter Zeit.

Neben Heinrich Böll, der Warnachs literarisches Leitbild war, trat in Düsseldorf Joseph
Beuys und sein künstlerisches Wirken. „Kunst und Wirklichkeit“ heißen die Reflexio-
nen zu Beuys, die Warnach schon 1972 publiziert, und prägnant faßt der Titel die
neue Spannung, um die Warnachs Denken seither kreiste.

Nach langem Leiden ist Walter Warnach am 7. Juni in Köln gestorben. Die Kunstaka-
demie Düsseldorf wird seiner in Ehren gedenken.

DER REKTOR

Die Kunstakademie trauert um

Professor Dr. Walter Warnach

14. September 1910 – 7. Juni 2000

 

Walter Warnach gehörte zu jenen, die in der Tiefe ihres Lebens den beschleunigten
Schrecken des 20. Jahrhunderts erfuhren. Sein nachhaltigstes Buch heißt „Die Welt
des Schmerzes“ (1953). Heinrich Böll schrieb über ihn: „Der Gedanke des Leidens
und des Opfers steht im Vordergrund des Warnachschen Denkens.“

1910 in Metz geboren, das damals noch zum Deutschen Reich gehörte, wurde
Warnach erst 1934 wieder eingebürgert. Nach dem Abitur in Köln studierte er dort
und in Bonn seit 1929 Philosophie, Germanistik und Romanistik und schloß 1935 mit
dem Ersten Staatsexamen ab. Er absolvierte, unterbrochen durch ein Lektorat an der
Universität Montpellier, die Referendarausbildung für den Höheren Schuldienst, aus
dem er auf eigenen Antrag Ostern 1937 ausschied.

Die Begründung für diesen Schritt, die Warnach in einem Lebenslauf gab, charakteri-
siert sein zurückhaltendes und zugleich unbeugsames Wesen: er hatte „mit Deutsch
als Hauptfach damals wenig Hoffnung..., in meinem Sinne unterrichten zu können.“
Dieser sanfte Widerstand zeichnete ihn aus. Er nahm sein Philosophiestudium wieder
auf und promovierte im November 1938 an der Universität Köln mit einer Dissertation
über Maurice Blondel. Ihr Untertitel spricht mit dem Problem von Zeit und Freiheit ein
Grundthema von Warnachs Existenz aus.

Nach Krieg, Verwundung und Gefangenschaft begann Warnach eine freie Tätigkeit
als Schriftsteller, Übersetzer und Lektor. Pascal und Bernanos, Simone Weil und
Werner von Trott zu Solz sind Wegmarken seines Denkens, und ihre Namen spannen
den Bogen von der Verführbarkeit des Menschen und seiner metaphysischen Erret-
tung bis zu einer mystisch ergründeten Ontologie. Warnach wird zum Exponenten
einer Geisteshaltung, die eine Versöhnung zwischen abendländischer Bewahrung
und den Forderungen der Moderne versucht. In diesem Sinn gibt er seit 1960 zu-
sammen mit Trott zu Solz und Böll die Zeitschrift „labyrinth“ heraus, die HAP Griesha-
ber graphisch gestaltet und ausstattet.

Im gleichen Jahr kommt Warnach, zunächst als Lehrbeauftragter, an die Kunstaka-
demie, und über eine Dozentur erhält er 1964 den Ruf auf die neugeschaffene Pro-
fessur für Philosophie. Bis 1975, als er mit Ende des Sommersemesters in den Ruhe-
stand tritt, lehrt Warnach an der Akademie in turbulenter Zeit.

Neben Heinrich Böll, der Warnachs literarisches Leitbild war, trat in Düsseldorf Joseph
Beuys und sein künstlerisches Wirken. „Kunst und Wirklichkeit“ heißen die Reflexio-
nen zu Beuys, die Warnach schon 1972 publiziert, und prägnant faßt der Titel die
neue Spannung, um die Warnachs Denken seither kreiste.

Nach langem Leiden ist Walter Warnach am 7. Juni in Köln gestorben. Die Kunstaka-
demie Düsseldorf wird seiner in Ehren gedenken.

DER REKTOR